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Hymne an die Singles

ein Essay von DJ Tanz vom 7.11.2012      hier geht es zurück zur Seite "Radio Keiner Kennts"

Titel einzeln auflegen und für wertvoll halten - welch untergegangener Ritus. Mit 12 sah ich bei einem Freund eine lange Reihen von Singles, die sein älterer Bruder erworben hatte. Ich träumte davon, auch so eine Reihe von Singles zu haben. Nebenbei habe ich das dann durchaus verwirklicht bis zum Ende der Single-Ära. Dieses Ende begann langsam 1968, als die LPs gut wurden, 1985 beschleunigte sich das Ende der Singles, als das Volk CDs kaufte. Nach meinem Gefühl war die Vinyl-Single ab 1995 dann ein Nischenspaß, bedeutungslos beim Musikverkauf. Zuvor erlebte sie bei Punk und NDW nochmals einen kleines Schlussfeuerwerk. Auf Flohmärkten warf ich bis etwa 2003 noch ein Auge auf die kleinen Scheiben. Sie kosteten zuguterletzt nur noch 10 bis 50 Pfennig. Die CD hatte vorübergehend gewonnen - bis als nächstes das Internet sich durchsetzte.

Im Gleichklang zum Märchen "1001 Nacht" stehen bei mir nun 1001 Single-Vinyl-Schallplatten. Die werde ich aber nur aus feierlichen Anlässen knirschen und rumpeln lassen.

Hier im Internet verzeichne ich meine 1001 Singles mit ihren 20xx Musikstücken. Jede Single hat ja eine Rückseite, und die wurde auch bespielt, oft mit einem Wegwerf-Stück. Legendär ist das in fünf Minuten entworfene und in Echtzeit eingespielte Lied "Play with Fire" der Rolling Stones - eine b-side mit Atmosphäre. Also der Plattensammler grinst und nimmt auch die b-side meist mit ins Archiv. Manche Singles haben mehr als ein Stück, so dass alles in allem 20xx Musikstücke auf meiner privaten Jukebox bereitliegen. Fotos der Plattenhüllen = Covers ergänzen das Verzeichnis. Privat gibt es die gleiche Homepage wie hier. Da lassen sich aber die 20xx Single-Titel als MP3 mit Mausklick abspielen. Ich habe mir mit der Homepage "1001 Singles" also eine digitale Jukebox gebaut. Ein Traum der 50er Jahre in den USA, und 60er Jahre auch in der BRD, lies sich digital nachempfinden.

Diese Großgeräte in der Kneipe machten Musik soooo wertvoll. Ich erinnere mich an eine Szene 1982, wo ein Mädchen an einer Jukebox stand. Sie drückte immer und immer wieder "Major Tom" von Peter Schilling, und Tränen liefen ihr über das Gesicht: "Völlig losgelöst von der Erde...". Ja, das waren Zeiten.

Die LP begann ab etwa 1965 die Single zu verdrängen. Die Beatles brachten wohl als erste Langspielplatten heraus, die man von vorne nach hinten genussvoll anhören konnte, während LPs zuvor durch musikalische Ödnis abschreckten - Kopien und Instrumentals wurden zum Single-Hit gepackt, ein abschreckendes Rezept. Gegen Ende der LP-Ära haben die Musikhändler das dann leider wieder da hin getrieben. Ihre Hoch-Zeit hatte die LP wohl schon mit dem Art-Rock. Art Rock im ersten Durchgang - er hat ja längst sein Revival - kann man bei Vanilla Fudges riesiger LP "You keep me hanging on" 1968 beginnen und bei "Phantom of the opera" 198x von Iron Maiden enden lassen. Das war Musik, die eine Single sprengte. Von "Yes" in England bis zu "Krawinkel" in Deutschland wurden LPs herausgebracht, die pro Plattenseite nur ein 20-Minuten-Werk enthielt. Und es waren geniale Werke darunter. Jaja, Pink-Floyd-Fans, ihr seid auch dabei.

Echte LPs habe ich 3000. "Echt" meint, dass sie von einer Band eingespielt sind oder, falls viele Bands sich auf der LP tummeln, die Musik in einem Wurf durchläuft. Etwa 20 LP-Sampler habe ich, die ich wie Sammlungen von Singles behandle. Auszüge daraus füge ich meiner Single-Jukebox zu. Jaja, etwa 1800 Single-Titel, die mir zufällig nicht begegneten, die ich aber gleich gekauft hätte, wenn sie mich getroffen hätten, kann ich heutzutage, bei Punk-Singles vor allem dank vieler CD-Compilations, bei Oldies vor allem gerettet im Internet, der Jukebox einverleiben. Ein Zahlenspiel naht: 3000 Single-Titel verzeichnet meine Jukebox 2012, und 3000 echte LPs gibt es auch bei mir.

Gruselig wird es, wenn man das alles mal rechnerisch hintereinander laufen lässt: Den Single-Titel etwas knapp mit 3 Minuten Laufzeit angenommen, die LP mit oft nicht erreichten, aber zum Rechnen einfachen 40 Minuten Laufzeit angesetzt, komme ich auf 3000 x 3 Minuten = 9000 Minuten = 150 Stunden = etwa 20 Tage mit je etwa 8 Stunden, die ich ohne Wiederholung meiner digitalen Jukebox lauschen kann. Und 3000 x 40 Minuten, das sind 120.000 Minuten LP-Musik... 2000 Stunden....250 Tage mit je 8 Stunden LP-Genuss, und wir hätten meine LP-Sammlung einmal durchwandert.

Das erscheint mir lebenslang sättigend. Ich habe dann ja auch ab 2000 nicht mal für 10 Cent noch eine Platte gekauft. Jaja, es gab dann die CDs, einschließlich einer ersten Wiederkunft der Vinyl-Platte "new remastered" auf CD. Das Schrumpfen der Plattencover unter die Größe eines Single-Covers zeigte aber ein Geschenk auf, das wir LP-Besitzer jahrzehntelang als selbstverständlich genommen hatten: Jedes LP-Cover entspricht einem echten schnuckeligen Bild! Man kann das über das Sofa hängen, und es wirkt. Und zumindest bei den Musikrichtungen, die ich als LPs kaufte, verkauften die Covers gute Träume. Zu etwa 80 Prozent würden mir die Covers meiner LPs über dem Sofa gefallen. Allerdings habe ich überhaupt kein Sofa, und bräuchte doch etwa 400 Sofas, ein ganzes Möbelhaus, um je sechs LP-Covers attraktiv darüber zu platzieren. Tolle Vision.

In der kleinen Wohnung, die ich mit meiner ersten festen Freundin bezog, hatten meine Langspielplatten für etwa 10 Jahre ihr handhabbares schönes Domizil: Eine Wand in voller Breite und Höhe, 4 m mal 2,50 m, trug die schwere Vinyl-Last. Die Platten waren gut sortiert, nämlich subjektiv. Nach Stilrichtungen bewegten sie sich von links bis rechts, von oben bis unten. Meine liebsten Klanglieferanten umkreisten das rechte untere Ende. Da hatte das Schwerlast-Regal eine Nische. Da stand der Plattenspieler. Und er lief echt jeden Tag, zehn Jahre lang. Ich bin an Arbeiten im eigenen Zimmer zu laufender Musik gewöhnt. Als gegen Ende der CD-Ära, mit der Musik-Überflutung aus dem Internet, alles erreichbar schien, passierte bei mir komischerweise das Abtauchen in Schweigen. Seit gefühlt 2004 läuft Musik selten bei mir, wenn ich arbeite.

Hört mir auf mit Radio. Da brauche ich einen guten Moderator. Uralte Tonbandaufzeichnungen habe ich, wo mir, als ich 14 Jahre jung war, der Moderator noch Genuss bot. Als der Punk aufkam und kein Radio-Moderator meines deutschen Sendegebietes ihn 1978 empfing, als die Neue Deutsche Welle 1981/82 ihren Blitzstart machte und von Südwestfunkmoderatoren verhöhnt wurde, da war es aus bei mir mit Radiohören. Heutzutage erst wieder gibt es ein Refugium im Auto bei mir, wo Flux FM und sonst nichts läuft - ein Regionalsender, der neben Berlin ausgerechnet und einzig Stuttgart bedient. Verlasse ich den Sendebereich von Flux FM, schalte ich um auf "CD im Auto".

Jeder Abschnitt hier ruft bei mir weitere Assoziationen wach. Der Plattenspieler in dem Riesen-Regal, das alle meine LPs mit ihrer schmalen Rückseite eng, aber wohlsortiert nebeneinander präsentierte, stand direkt und bedienbar neben meinem großen Wasserbett. Also ich konnte beim Aufwachen und auch bei sonstigen Bettfiguren die Platten-Nadel in Gang setzen. Meine Vinyl-Platten hatten da ihr Jahrzehnt, in dem sie gefeiert wurden... Nimm dir mal vor, die Zwanzig-Minuten-Seite einer musikalisch passenden Platte mit deiner Liebsten durchzuvögeln. Komm erst beim letzten Titel, Mann! Alles klar?

Und ja, auch meine CDs habe ich gerippt, habe sie dem Computer zugänglich gemacht. Beim CD-Kauf, spät begonnen, irgendwo 1995, da ließ sich die Explosion der Digitalwelt schon ahnen, hatte ich nie etwas anderes im Sinn, als die Titel langfristig auf eine Festplatte zu schaufeln und von dort aus zu spielen. Techno und Trance sind ja dann Musikrichtungen, die in ihrer Sound-Dynamik und Klangreinheit auf die CD abgestimmt sind. Jaja, Drum´n´bass, Jungle und Trip Hop klingen auch besser auf CD, und Klaus Schulze sowie Tangerine Dream, beide im LP-Zeitalter gestartet und verfolgt vom Plattenknistern, werden durch die CD beschenkt. Also ich startete spät und endete früh - gefühlt 2003 - mit CDs als Musikträger. Als Beigabe bei Musikzeitungen wie Ablake und Legacy, Ox, Visions und Zillo, dann bei Gothic-Magazinen, da ist mir die CD allerdings willkommen. Noch 2012 kaufe ich etwa 5 Musikzeitschriften mit CD pro Jahr. Also ich habe eine fette Sammlung an gerippten CDs voller Einzeltitel, die für mich interessante Fortschritte der Musik ab 199x einfangen.

Jedes Lied, das ich hier im Internet erwähne, ist von mir gekauft, zwischen 1975 und jetzt. Jetzt ist alles Internet. Mit dem deutschen Simfy 2011 und seinen US-Konkurrenten ab 2012 kostet das Musik-Paradies einen überschaubaren Betrag. Das Paradies ist allerdings flach, wie der Abgleich mit meiner Sammlung zeigt: Von meinen 2020 Single-Titeln gibt es bei Simfy nur 30 Prozent, also 822. Ätsch! Bei den LPs sieht es etwas besser aus. Immerhin noch 900 LPs, das sind 22 Prozent meiner Vinyl-Sammlung, habe aber nur ich und ihr da draußen im Internet bisher nicht. Was je auf CD dann verkauft wurde, das habt ihr, jaja.

In meiner jetzigen Wohnung stehen die LPs und Singles derzeit auf dem Speicher. Teils direkt im Speicher, nach Möglichkeit natürlich in den heizbaren Stockwerden darunter haben wir im Winter 2012/2013 die Archivierung des Gigantenwerks durchgeführt. Dank an Franzi und Ramona. Zu dritt haben wir ein Museum gestemmt! Dank an dieser Stelle auch an Steffen, der mir das Umwandeln aller meiner CDs in MP3-Daten auf 20 gleichzeitig laufenden Computern in vertretbarer Zeit ermöglichte. Alle meine LPs und Singles plane ich in einen Keller zu überführen, der demjenigen verblüffend gleicht, den ich als zwölfjähriger Junge sah. Dieser Keller, in dem die LPs in langer Reihe in Greifhöhe stehen, und darüber noch ein langes Brett, auf dem Unmengen von Singles warten. Das war meine früheste Vision von sinnvollem Reichtum: Viele Vinyl-Platten haben.